KI und Geisteswissenschaften? Na klar!

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(Foto: Brian Penny/Pixabay)

Über die Rolle verschiedener Disziplinen der Geistes- und Sozialwissenschaften bei der Entwicklung von KI – ein Gespräch mit Dr. Patrick Krauß

Künstliche Intelligenz (KI) und Geisteswissenschaften werden oft nur in Verbindung gebracht, wenn es um Fragen der Ethik, wie moralisches Handeln oder Zuschreibung von Verantwortung geht, die in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Dabei gerät in den Hintergrund, dass schon bei der Entwicklung von Chatbots wie ChatGPT geisteswissenschaftliche Fragestellungen zu Sprache, Lernprozessen und sogar Emotionen relevant sind. Mit diesen Themen beschäftigt sich Dr. Patrick Krauß. Er ist Physiker sowie Kognitions- und Neurowissenschaftler und sein Forschungsfokus liegt an der Schnittstelle von Neurowissenschaft und Künstlicher Intelligenz, insbesondere im Bereich Sprachverarbeitung. Im Interview gibt er einen Einblick in seinen Werdegang und seine Forschung und zeigt, wie interdisziplinär die Arbeit an der Philosophischen Fakultät und Fachbereich Theologie ist.

 

Herr Dr. Krauß, Sie haben Physik studiert und am Universitätsklinikum Erlangen in den Neurowissenschaften promoviert – wie sind Sie mit der Philosophischen Fakultät und Fachbereich Theologie verbunden?

Dr. Patrick Krauß (Foto: Uniklinik Erlangen)

Ich habe an der Philosophischen Fakultät und Fachbereich Theologie im Fach Linguistik habilitiert zu Sprachverarbeitung in KI-Systemen und im Gehirn. Außerdem bin ich beteiligter Wissenschaftler und leite zwei Projekte des DFG-Graduiertenkollegs von Prof. Ewa Dabrowska (Lehrstuhl für Language and Cognition, Alexander von Humboldt-Professur).

 

Was fasziniert Sie an Linguistik?

Seit meiner Jugend interessiere ich mich sehr für verschiedene Sprachen und für Sprache im Allgemeinen.

Mich fasziniert, dass Sprachen sowohl universelle Kommunikationssysteme als auch universelle Repräsentationssysteme sind, die die Welt in sinnvolle Kategorien und Strukturen einteilen.

Dabei sind Sprachen sehr anpassungsfähig und offen: sie können immer wieder neue Bedeutungen repräsentieren und sogar aus sich selbst heraus völlig neue Bedeutungen erschaffen, wobei ihre Ausdrucksmöglichkeiten praktisch unbegrenzt sind.

 

Was ist das Ziel Ihrer Forschung?

Ich möchte verstehen, wie Sprache im Gehirn repräsentiert, verarbeitet und produziert wird. Dazu verwende ich unter anderem KI-Systeme wie ChatGPT als Modelle für das Gehirn. Beide Systeme haben gemeinsam, dass ihr Inneres einer Black Box gleicht. Wir können zwar ihr Verhalten beobachten, also die Sprache, die sie produzieren, aber wir wissen nicht genau, was in ihrem Inneren vor sich geht und wie sie es tun. Wir verwenden bildgebende Verfahren wie EEG oder MEG, um dem Gehirn während der Verarbeitung von Sprache zuzuschauen und ausgefeilte Methoden um die so gewonnen Daten auszuwerten. Im Gegensatz zum Gehirn haben KI-Systeme aber den entscheidenden Vorteil, dass sie vollständig zugänglich sind, das heißt wir können ihre inneren Zustände jederzeit mit beliebiger Genauigkeit auslesen. Das können wir mit der heutigen Technologie beim Gehirn nicht einmal ansatzweise.

Außerdem können wir mit KI-Systemen beliebige Experimente durchführen, die am lebenden Gehirn aus ethischen oder technischen Gründen undenkbar wären. Daher sind Computermodelle der Gehirnfunktion und KI-Systeme eine unverzichtbare Ergänzung der experimentellen Arbeit. Beide Black Boxes zu öffnen, um dann sowohl etwas über die KI als auch über das Gehirn zu lernen und mit diesen Erkenntnissen die KI weiterzuentwickeln und die Computermodelle gehirnähnlicher zu machen, ist das Ziel meiner Forschung. Frei nach den Worten des amerikanischen Physikers Richard Feynman: ‚Was ich nicht bauen kann, habe ich auch nicht verstanden.‘

 

Welche geisteswissenschaftlichen Fragestellungen oder Herangehensweisen helfen Ihnen bei der Erforschung des Gehirns und der Künstlichen Intelligenz?

Ein zentraler Bereich ist die Philosophie des Geistes, die sich mit Fragen des Bewusstseins und der Natur mentaler Zustände auseinandersetzt. Wichtige Fragen in diesem Kontext sind: Was ist Bewusstsein und wie kann es definiert werden? In welchem Verhältnis stehen Geist und Gehirn zueinander? Kann Künstliche Intelligenz ein Bewusstsein entwickeln, und wenn ja, wie könnte dies nachgewiesen werden?

In Psychologie und Kognitionswissenschaft wird untersucht, wie Menschen denken, lernen und sich erinnern. Dabei wird Kognition oft als Informationsverarbeitung betrachtet, was bedeutet, dass mentale Prozesse wie das Verarbeiten und Speichern von Informationen verstanden werden. Es wird davon ausgegangen, dass mentale Zustände durch verschiedene physische Systeme realisiert werden können, solange diese die gleiche Funktion erfüllen. Das führt zu spannenden Fragen, zum Beispiel: Wie lernen Menschen und wie kann dieses Wissen für die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz genutzt werden? Welche Rolle spielen Emotionen für Wahrnehmung, Lernen und Gedächtnis, und wie lässt sich dies auf KI übertragen?

 

Viele KI-Systeme basieren auf Sprachverarbeitung, womit genau beschäftigt sich hierbei die Sprachwissenschaft?

Die  Sprachwissenschaft spielt eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von KI-Systemen. Ein zentrales Problem ist das Grounding Problem, das die Frage betrifft, wie die Repräsentationen in der KI mit realen Bedeutungen verknüpft werden können.

Während menschlicher Spracherwerb durch Interaktion mit der Umwelt und soziale Interaktion geprägt ist, lernten große Sprachmodelle, sogenannte Large Language Models, kurz LLMs, Sprache bisher ausschließlich aus Texten. Dies stellt eine große Herausforderung dar, da der Kontext und die Bedeutung von Sprache oft tief in der physischen und sozialen Welt verwurzelt sind.

Die Entwicklung hin zu multi-modalen KI-Systemen, die sowohl Sprache als auch Bilder verarbeiten können, stellen einen wichtigen Schritt in Richtung allgemeiner Künstlicher Intelligenz, dem Heiligen Gral der KI-Forschung, dar.

Diese interdisziplinären Fragestellungen aus Philosophie, Psychologie, Kognitionswissenschaften und Linguistik zeigen, wie geisteswissenschaftliche Ansätze zur Vertiefung des Verständnisses und zur Entwicklung von Künstlicher Intelligenz beitragen können.

 

Um an die soziale Bedeutung von Sprache anzuknüpfen: Inwiefern sind auch gesellschaftswissenschafliche Disziplinen bei KI gefragt?

Ja, natürlich gibt es auch hier Schnittstellen: Die Kulturwissenschaften und Anthropologie analysieren die kulturellen und sozialen Auswirkungen der Entwicklungen in der KI und Hirnforschung. Relevante Fragen umfassen: Wie verändern diese Technologien gesellschaftliche Strukturen und zwischenmenschliche Beziehungen? Welche kulturellen Unterschiede gibt es in der Wahrnehmung und Akzeptanz von KI und Hirnforschung?

Die Geschichte bietet Einblicke in die Entwicklung von wissenschaftlichen Konzepten und Technologien im Laufe der Zeit. Fragen können sein: Wie haben sich Vorstellungen von Intelligenz und Bewusstsein im Laufe der Geschichte verändert? Welche historischen Entwicklungen haben den Weg für moderne KI und Hirnforschung geebnet?

Und natürlich die Ethik, die sich mit den moralischen Implikationen und Verantwortungen in der KI- und Hirnforschung beschäftigt. Relevante Fragen sind: Welche ethischen Richtlinien sollten bei der Entwicklung und dem Einsatz von KI und in der Hirnforschung beachtet werden? Wie kann sichergestellt werden, dass Systeme fair und unvoreingenommen handeln?

Durch die Integration dieser geisteswissenschaftlichen Perspektiven kann die Erforschung des Gehirns und der Künstlichen Intelligenz umfassender und ganzheitlicher gestaltet werden, indem sie nicht nur technische, sondern auch ethische, kulturelle und historische Aspekte berücksichtigt.

 

Was gefällt Ihnen am interdisziplinären Arbeiten und Forschen?

Interdisziplinäres Arbeiten und Forschen ermöglicht es, komplexe Fragestellungen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und so ein umfassenderes Verständnis zu gewinnen. Es bietet die Möglichkeit, innovative Ansätze zu entwickeln, indem man Methoden und Theorien aus unterschiedlichen Disziplinen kombiniert. Der Austausch mit Fachleuten aus anderen Bereichen führt oft zu neuen Einsichten und kreativen Lösungen, die in einer isolierten Disziplin möglicherweise nicht entstehen würden. Zudem bereichert die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Fachrichtungen das eigene Denken und erweitert den Horizont. Besonders in einem so vielfältigen Forschungsfeld wie der Künstlichen Intelligenz und Neurowissenschaft sind die Beiträge aus den Geisteswissenschaften, Naturwissenschaften und Ingenieurwissenschaften unerlässlich, um die vielschichtigen Aspekte von Sprache, Bewusstsein und Intelligenz zu verstehen und voranzutreiben.

 

Vielen Dank!

 

Buch ‚Künstliche Intelligenz und Hirnforschung‘

In seinem neuen Buch führt Dr. Patrick Krauß anhand aktueller Forschungsergebnisse und Beispiele in die beiden Bereiche KI und Hirnforschung ein und stellt grundlegende Ideen und Herausforderungen dieser faszinierenden Disziplinen vor. Aus den Perspektiven von Neurowissenschaft und Psychologie wird die Funktionswiese des Gehirns erklärt und wie Künstliche Intelligenz arbeitet. Leserinnen und Leser erfahren, wie KI unser Verständnis des Gehirns revolutioniert hat und wie Erkenntnisse aus der Hirnforschung umgekehrt in der Informatik eingesetzt werden, um KI-Algorithmen weiterzuentwickeln. Dr. Krauß erklärt auch, warum Künstliche Intelligenz und Hirnforschung zwei Seiten einer Medaille sind und wie sie unsere Zukunft prägen werden.

Das Buch ist im FAU Netzwerk als Open Access erhältlich:

https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-662-67179-5