„Es geht um die Grundidee, beim Kommunizieren anderen Respekt zu zollen“ – Interview mit Sprachwissenschaftlerin Dr. Christine Ganslmayer
Zum 1. April 2024 ist in Bayern das Genderverbot in Kraft getreten. In Behörden, Schulen und natürlich Universitäten ist es untersagt, mit Genderstern, Doppelpunkt oder ähnlichen Sonderzeichen gendersensible Sprache zu verwenden. Gab es schon mal ein ähnliches Verbot? Welche Folgen kann es haben, in die natürliche Entwicklung einer Sprache einzugreifen? Das sind nicht nur Fragen, die die Gesellschaft beschäftigen, sondern auch Dr. Christine Ganslmayer. Sie ist Akademische Oberrätin am Lehrstuhl für Germanistische Sprachwissenschaft und forscht unter anderem zur historischen deutschen Sprachwissenschaft und Sprachwandel. Im Interview erklärt sie unter anderem, wie sich Eingriffe in die Sprache auswirken und worum es bei gendersensiblem Sprachgebrauch eigentlich geht.
Frau Dr. Ganslmayer, wie überraschend kam für Sie das Genderverbot der bayerischen Regierung?
Nach Ministerpräsident Söders Regierungsankündigung im vergangenen Dezember kam es nicht wirklich überraschend für mich: Wenn etwas Derartiges angekündigt ist, wird es in der Regel ja auch umgesetzt. Prinzipiell stehe ich als Linguistin einem solchen sprachregulierenden Eingriff aber kritisch gegenüber:
Gerade der gendersensible Sprachgebrauch ist aktuell ein ideologisch aufgeladenes Thema, das in der Gesellschaft stark polarisiert und noch ausgehandelt wird. Eingriffe von außen und von oben scheinen mir in einem solchen Fall wenig produktiv.
Dieses ‚Verbot‘ hat leider das Potenzial, die Gesellschaft weiter zu polarisieren: Gendergegner fühlen sich (wenig reflektiert) bestätigt, Genderbefürworter werden brüskiert, und Leute, in deren Bewusstsein das Thema bislang weniger relevant war, verorten sich neu auf der einen oder anderen Seite, vielleicht auch gerade, weil ihnen ‚Verbote‘ bezüglich des eigenen Sprachgebrauchs prinzipiell gegen den Strich gehen.
Gab es ein ähnliches Sprachverbot schon mal?
Meines Wissens nicht. Der Begriff ‚Sprachverbot‘ greift allerdings vielleicht etwas zu weit. Er ist mir eher bekannt aus Kontexten, in denen Minderheiten der Gebrauch ihrer Sprache von Besatzungsmächten grundsätzlich untersagt wird. Eine solche Sprachpolitik ist ein Zeichen von nicht-demokratischen Gesellschaften und absolut zu verurteilen. Allein die Tatsache, dass im Kontext ‚gendersensibler Sprachgebrauch‘ ein regulierender Eingriff (wie auch immer ein solcher begründet ist) als ‚Verbot‘ kommuniziert wird, zeigt mir, wie ideologisch aufgeladen dieses Thema ist.
Wie verändert sich Sprache denn normalerweise?
Sprachwandel ist ein natürlicher Entwicklungsprozess, der sich im Sprachgebrauch vollzieht, das heißt Sprecher und Sprecherinnen verändern ihre Sprache in der Regel unbewusst, wenn sie sie benutzen.
Dabei ist Sprachwandel ein komplexes Phänomen, das polykausal zu erklären ist, das heißt verschiedene Dimensionen können einen Einfluss ausüben: Sprachökonomisches Verhalten führt zu einer unbewussten Vereinfachung von Sprache; individuelle Fehler bei der kognitiven Sprachverarbeitung sind durch Regelübertragungen zu erklären und können längerfristig in neue sprachliche Regularitäten münden; und durch sprachsoziale Kontakte können Phänomene aus anderen Sprachen übernommen werden.
Menschengemachte, bewusst gesteuerte Eingriffe werden dagegen als unnatürlicher Sprachwandel betrachtet.
Und was bedeutet es für die Forschung, wenn in die Entwicklung aktiv eingegriffen wird?
Da kommt es darauf an, ob ein solcher aktiver Eingriff durch einzelne Individuen oder durch eine normenbestimmende Institution erfolgt. Grundsätzlich haben individuelle sprachkreative Eingriffe wegen ihrer geringeren Reichweite weniger Potenzial, sich längerfristig in einer Sprachgemeinschaft zu verbreiten. Anders sieht es aus, wenn ein solcher Eingriff von vielen aufgegriffen wird. In diesem Fall kann sich dann eine neue sprachliche Norm (im Sinne einer neuen sprachlichen Regularität) entwickeln. Auch dies ist ein sprachlicher Entwicklungsprozess und wird im Diskurs ausgehandelt.
Ein Blick in die Sprachgeschichte zeigt, dass die Etablierung neuer sprachlicher Normen durchaus von Individuen mitgestaltet werden konnte, wenn deren Sprachgebrauch als vorbildhaft aufgegriffen wurde. Ein solcher Fall ist zum Beispiel mit Martin Luther und seiner Bibelübersetzung bekannt.
Als sprachliche Norminstanzen fungieren heute vor allem Schreiber, deren Texte als modellhaft empfunden werden (zum Beispiel professionelle Schriftsteller, Journalisten), und das Verlagswesen, das Texte in einer bestimmten Form öffentlich verbreitet, aber auch korrigierende Sprachautoritäten (etwa Lehrkräfte in Schulen) und sprachwissenschaftliche Experten mit ihren Fachurteilen. Sprachliche Eingriffe durch regierende Instanzen sind dagegen ungewöhnlich.
Welche Aufgaben hat der Rat der deutschen Rechtschreibung?
Mit dem ‚Rat für deutsche Rechtschreibung‘ gibt es in den deutschsprachigen Ländern seit 2004 ein Expertengremium, das sich dem in unserer Sprache am stärksten normierten Bereich, der Rechtschreibung, regulierend widmet. Bei den 41 Mitgliedern (Wissenschaftler, Sprachpraktiker) aus sieben Ländern und Regionen handelt es sich um ‚ein zwischenstaatliches Gremium, das von den staatlichen Stellen damit betraut wurde, die Einheitlichkeit der Rechtschreibung im deutschen Sprachraum zu bewahren und die Rechtschreibung auf der Grundlage des orthografischen Regelwerks im unerlässlichen Umfang weiterzuentwickeln. Der Rat ist somit die maßgebende Instanz in Fragen der deutschen Rechtschreibung und gibt mit dem amtlichen Regelwerk das Referenzwerk für die deutsche Rechtschreibung heraus‘, wie auf der offiziellen Webseite dargestellt wird. Der Rat beobachtet und diskutiert auf Basis großer Sprachkorpora aktuelle Sprachentwicklungen.
Welche Stellung bezieht der Rat der deutschen Rechtschreibung zur gendergerechten Sprache?
Zum Thema ‚Geschlechtergerechte Schreibung‘ wurde zuletzt in der Sitzung am 15. Dezember 2023 beraten. Dazu gibt es eine offizielle Pressemitteilung, nachlesbar unter Geschlechtergerechte Schreibung: Erläuterungen, Begründung und Kriterien vom 15.12.2023 (rechtschreibrat.com).
Der Rat bekräftigt hier seine Auffassung, ‚dass allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden soll. Dies ist eine gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Aufgabe, die nicht mit orthografischen Regeln und Änderungen der Rechtschreibung gelöst werden kann.‘
Die Aufnahme verschiedener Sonderzeichen im Wortinneren wie Asterisk (‚Gender-Stern‘), Unterstrich (‚Gender-Gap‘) oder Doppelpunkt, ‚die die Kennzeichnung aller Geschlechtsidentitäten vermitteln sollen‘ wird in das Amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung aber nach wie vor nicht empfohlen. Sie gehen über zulässige Verkürzungsformen wie Bürger/-innen hinaus, die im Amtlichen Regelwerk bereits erfasst sind. Bezüglich der Binnenzeichen wird die weitere Schreibentwicklung beobachtet, ‚denn geschlechtergerechte Schreibung ist aufgrund des gesellschaftlichen Wandels und der Schreibentwicklung noch im Fluss‘. Es wird auch daran erinnert, dass Hochschulen und Lehrende zu beachten haben, ‚dass sie für die Bildung und Ausbildung der Lehrkräfte an öffentlichen Schulen Verantwortung tragen, in denen Schülerinnen und Schülern die Rechtschreibung nach dem Amtlichen Regelwerk zu vermitteln ist, auf das sich die zuständigen staatlichen Stellen der deutschsprachigen Länder verständigt haben‘.
Wie kam die gendersensible Sprache eigentlich auf?
Die Geschichte der gendersensiblen Sprache setzte in den 1960er Jahren im Kontext feministischer Sprachkritik ein, als der Schrägstrich eingeführt wurde, um Frauen in der Sprache sichtbarer zu machen. Seit den späten 1970er Jahren etablierte sich mit Senta Trömel-Plötz und Luise F. Pusch als Vorreiterinnen eine feministische Linguistik auch im deutschsprachigen Raum. Die weitere Entwicklung ist komplex und durch zahlreiche Entwicklungen und Debatten geprägt.
Inzwischen ist ein geschlechtergerechter Sprachgebrauch längst Leitbild in Institutionen geworden. Konsensfähig ist die Grundidee, beim Kommunizieren anderen Respekt zu zollen.
Diesbezüglich möchte man sensibilisieren und eine wertschätzende Sprachkultur etablieren. Die aktuell diskutierten Binnenzeichen wie Glottisschlag, Sternchen, Doppelpunkt etc. stellen da nur einen Teilaspekt dar.
Und wie halten Sie es selbst mit der gendersensiblen Sprache?
Ich plädiere für einen reflektierten, aufgeklärten und respektvollen Umgang mit Sprache. Das bedeutet für mich auch, dass man bewusst zwischen formalem und informellem Sprachgebrauch differenzieren kann.
Es hat ja auch viel mit Stil zu tun, wann ich welche Sprachformen wähle. Ein Gendersternchen ist etwas anderes, wenn ich es in einer privaten E-Mail benutze oder auf einem offiziellen Zeugnis.
Es gehört zu unseren Bildungsstandards, dass man genau wissen sollte, wann man wo wie zu kommunizieren hat: Wann muss ich offiziellen Regeln folgen und wann habe ich die Freiheit, sprachlich kreativ etwas Neues auszuloten? Ein Bewusstsein für eine solche Differenzierung vermisse ich in der Öffentlichkeit mitunter.
Vielen Dank für das Interview!