Was ist das Interessante an Sentimentalität? Prof. Heike Paul im Interview zum neuen Graduiertenkolleg
Das Graduiertenkolleg „Das Sentimentale in Literatur, Kultur und Politik“ hat zum 1. April 2022 die Arbeit aufgenommen und 12 Promovierende sowie eine Postdoc-Mitarbeiterin widmen sich der Erforschung von Sentimentalität und Emotionen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen. Das Graduiertenkolleg ist im Rahmen des ‚The Global Sentimentality Project‘ entstanden, dessen Leiterin Prof. Dr. Heike Paul ist. Sie berichtet im Interview, welche Besonderheiten die Promotion an einem Graduiertenkolleg mitbringt und zu welchen unterschiedlichen Zwecken Sentimentalität genutzt wird.
Was ist ein Graduiertenkolleg?
Ein Graduiertenkolleg, kurz GraKo, ist ein Promotionsprogramm mit einem gemeinsamen Rahmenthema. Dieses Format wurde Anfang der 1990er Jahre von der DFG eingeführt und hat die Wissenschaftslandschaft und die Promotionskultur nachhaltig verändert. Promovierende haben hier die Möglichkeit, sich aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven mit einem Thema zu beschäftigen. Bei der Beantragung eines Graduiertenkollegs weist man nach, dass dieses Thema besonders gewinnbringend interdisziplinär erforscht werden kann.
Wie kann man sich die Promotion in einem GraKo vorstellen?
Jede und jeder Promovierende arbeitet an einem eigenen Projekt, also einer Dissertation in einer Einzeldisziplin und profitiert von der Zusammenarbeit in der Gruppe. Man könnte sagen, ein Graduiertenkolleg schafft geradezu ideale Bedingungen für eine Promotion, weil es eine unterstützende Infrastruktur bietet. Die Promovierenden profitieren von regelmäßigen Arbeitstreffen und von Netzwerkstrukturen, zudem erhalten sie Reisemittel; sie werden in das akademische Arbeiten eingeführt und schauen dabei auch über den eigenen disziplinären Tellerrand und den akademischen Diskurs hinaus. Das trifft ganz besonders auf unser Graduiertenkolleg „Das Sentimentale in Literatur, Kultur und Politik“ zu. Wir haben ein Praxismodul, in dessen Rahmen die Promovierenden an einer externen Einrichtung tätig sein können – immer im Zusammenhang mit unserem Thema Sentimentalität und Emotion. Über 12 Plätze sind schon fest vereinbart. Das öffnet natürlich die Türen für eine Anschlusstätigkeit.
Wer kann sich um einen Platz im GraKo bewerben?
Es können sich Personen bewerben, die einer am Kolleg beteiligten Disziplin zugeordnet werden können. Für die Bewerbung ist ein überzeugendes Exposé notwendig und formell natürlich ein Master- oder vergleichbarer Abschluss. Für unser GraKo ist die Bewerbungsfrist aber leider schon vorbei.
Was ist das Interessante an Sentimentalität?
Sentimentalität beschreibt einen Phänomenbereich, der allgegenwärtig ist und unterschiedliche Bereiche der Gesellschaft betrifft, wie auch die Reihung im Titel des Kollegs „Das Sentimentale in Literatur, Kultur und Politik“ zeigt.
Uns interessiert Sentimentalität als Querschnittsthema. Wir gehen davon aus, dass Sentimentalität ein Code ist, der genutzt wird, um Beziehungen und Gemeinschaften zu stiften. Das kann sehr unterschiedlich aussehen: Als erstes fällt uns wahrscheinlich die romantische Zweierbeziehung ein, aber Sentimentalität kommt auch bei einem Fußballverein und seinen Fans zum Vorschein und – im Titel ist auch ‚Politik‘ aufgeführt – zwischen einer Herrschaftsfigur und seinen Untertanen. Sentimentalität integriert und verbindet, kann aber genauso exkludieren und deutlich machen, wer nicht dazugehört. Muster sind kulturspezifisch, aber auch transkulturell – genau das erforschen wir. Nutzt US-Präsident Joe Biden Sentimentalität anders als ein Herrscher eines Emirats? Und wo genau liegen die Unterschiede?
Am 1. April hat das GraKo seine Arbeit aufgenommen – was waren die ersten Schritte und was kommt als nächstes?
Die ersten Schritte waren organisatorischer Art, wie Verträge für die Promovierenden und die Postdoc aufsetzen sowie Räume und Ausstattung besorgen. Wir haben Sarah Marak als Koordinatorin des Graduiertenkollegs gewonnen und so konnte die Arbeit losgehen. Sie kümmert sich um die Internetpräsenz und organisiert die verschiedenen Meetings der einzelnen Gruppen.
Wir haben gerade eine Publikation veröffentlicht: Lexicon of Global Melodrama. Fast alle Antragsteller des GraKo haben dazu beigetragen, aber es sind auch Beiträge vieler weiterer Forschenden dabei. Es ist also fast eine erste, gemeinsame Publikation. Sie ist als Open Access beim Transcript Verlag erhältlich.
In diesem Semester halten wir ein wöchentliches Kolloquium ab, stellen uns gegenseitig unsere Projekte vor und lernen uns kennen. Am 13. Juni wird es eine Auftaktveranstaltung in der Orangerie geben, bei der auch Vertreterinnen und Vertreter der DFG und des Bayerischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst anwesend sein werden.
Auch am 21. Mai an der Langen Nacht der Wissenschaften ist das GraKo mit einer Veranstaltung dabei. Was erwartet die Besucher*innen bei „Sentimentalität erfahren“?
Die Veranstaltung hat Prof. Kay Kirchmann aus der Theater- und Medienwissenschaft konzipiert und es geht darum, mit welchen Sinnen wir Sentimentalität erfahren. Das kann angenehm sein und wir schwelgen wohlig in Sentimentalität, aber es gibt auch unangenehme Formen des sentimentalen Betroffenseins.
Ich möchte den Besucherinnen und Besuchern aber die Überraschung nicht nehmen und verrate nur so viel, dass es viele interaktive Elemente gibt.
Vielen Dank für das Interview!
Weitere Informationen zu ‚The Global Sentimentality Project‘ und dem Graduiertenkolleg gibt es unter:
https://www.sentimental.phil.fau.de/
21 Uhr: Sentimentalität erfahren
Dauer: 90 Minuten
Raum: Experimentiertheater (U1.027) und Stream auf dem Vorplatz
Veranstalter: Institut für Theater- und Medienwissenschaft
Tickets unter http://www.nacht-der-wissenschaften.de/, die Veranstaltung wird auch kostenlos gestreamt. Link gibt es in Kürze auf: https://www.theater-medien.phil.fau.de/