„Bei gendergerechter Sprache sollte es keinen Zwang geben“ – Interview mit Studierenden der Lexikographie

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Um Gender-Sternchen und Binnen-I wird derzeit heiß diskutiert. Während öffentliche Einrichtungen und Unternehmen Leitfäden zum gendersensiblen Sprachgebrauch veröffentlichen, gibt es auf der anderen Seite laute Stimmen, die eine ‚Sprachpolizei‘ befürchten. Gibt es in anderen Ländern eigentlich ähnliche Diskussionen? Und was sagen Expert*innen dazu? Zwei Fragen, die wie gemacht für Studierende der Lexikographie sind, einem Studiengang, der sich mit Wörterbüchern, lexikalischen Informationssystemen und generell Daten über Sprache befasst.

Der Europäische Master für Lexikographie, kurz EMLex, ist ein internationaler Elitestudiengang mit Erasmus-Mundus-Label, der von der EU gefördert wird. Mehrere Universitäten weltweit kooperieren in diesem Studiengang und dementsprechend multikulturell sind auch die Studierenden und Lehrenden. Tith Khamissara aus Thailand, Iván Arias Arias aus Spanien und Rika Bokau aus Indonesien haben das Sommersemester 2021 im Rahmen ihres EMLex-Masterstudiums an der FAU in Erlangen verbracht und berichten im Interview über die Wahl ihres Studienfachs und wie sie gendergerechte Sprache wahrnehmen.

Was ist für Sie das Faszinierende an Sprache?
Tith Khamissara (Foto: privat)

Tith Khamissara: Da gibt es Vieles, aber mir ist zum Beispiel aufgefallen, dass wenn man eine neue Sprache lernt, man auch neue Denkweisen annimmt. Wenn ich Deutsch oder Englisch spreche, fühle ich mich anders als wenn ich in meiner Muttersprache Thailändisch rede, das finde ich faszinierend.

Rika Bokau: Einfach die Vielfältigkeit. Jede Sprache, die ich bisher gelernt habe, ist merkwürdig, einzigartig und anders, aber schön. Deutsch ist zum Beispiel sehr geregelt, Französisch phonetisch spannend – also jede Sprache hat etwas Besonderes. Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir verschiedene Sprachen auf der Welt haben.

Iván Arias Arias: Was Tith gesagt hat, kann ich nur bestätigen. Jede Sprache bringt eine eigene Denkweise mit und das spiegelt auch die jeweilige Gesellschaft wider. Wenn sich die Gesellschaft weiterentwickelt, muss sich auch die Sprache daran anpassen.

Das stimmt und war auch insbesondere in den vergangenen Monaten zu sehen. In der Corona-Pandemie sind neue Wörter entstanden wie ‚Covidiot‘ und Begriffe wie ‚Lockdown‘ sind zum festen Bestandteil unseres Vokabulars geworden.

Iván Arias Arias: Das ist ein sehr gutes Beispiel, durch Corona hat sich der Sprachgebrauch rasant verändert und es gab viele Wortneuschöpfungen.

Und so ähnlich ist es mit der gendergerechten Sprache. Vom generischen Maskulinum hat sich etwa die Anrede dahin entwickelt, dass die männliche und weibliche Form verwendet wird und inzwischen ist in vielen Kontexten sogar eine neutrale Anrede oder Bezeichnung üblich. Wie haben Sie das wahrgenommen, als Sie Deutsch gelernt haben?

Iván: Als ich Deutsch gelernt habe, ist mir das nicht so aufgefallen, sondern erst als ich viel auf Deutsch gelesen habe. Nach einer Weile wurde es auch zum Diskussionsthema im Deutschunterricht. Aber neutrale Bezeichnungen wie ‚Studierende‘ oder ‚Mitarbeitende‘ haben wir nicht gelernt, das bekommt man erst mit, wenn man sich intensiver mit Deutsch beschäftigt.

Tith: Wir haben immer die weibliche und männliche Form gelernt und so war es auch selbstverständlich, diese gleichermaßen zu verwenden.

Rika: Im Indonesischen gibt es kein Geschlecht, wir verwenden die dritte Person statt ‚sie‘ oder ‚er‘, daher war das für mich neu, als ich erst Englisch und dann Deutsch gelernt habe. Im Deutschen spielt ‚Gender‘ jedoch eine größere Rolle.

Rika Bokau (Foto: privat)
Wie ist das im Spanischen oder Thailändischen? Haben sich da genderneutrale Bezeichnungen entwickelt?

Iván: Tatsächlich gibt es einen ähnlichen Trend. Im Spanischen endet die weibliche Form normalerweise auf –a und die männlich entsprechend auf –o, zum Beispiel ‚todos‘ für ‚alle‘ (männlich) oder ‚todas‘ für ‚alle‘ (weiblich). Inzwischen liest man immer wieder ein ‚x‘ oder ‚@‘ anstelle dieser Formen, also ‚todxs‘ oder ‚tod@s‘.

Darüber wird gesellschaftlich auch diskutiert. Der Unterschied ist allerdings, dass es in Spanien die Real Academia Española gibt, die die sprachlichen Regeln vorgibt. Die Akademie ist eher konservativ, deswegen ist sie gegen diese neuen Tendenzen, aber bei den Menschen ist das Bewusstsein für gendersensible Sprache da und viele versuchen, neutrale Begrifflichkeiten zu verwenden.

Tith: Im Thailändischen gibt es sehr viele Pronomen, daher ist es kompliziert. Wir haben mehrere Formen für ‚sie‘, dritte Person Singular, aber neutrale Pronomen gibt es nicht. Es hängt sehr stark davon ab, wie man die Sprache gebraucht. Im Englischen verwendet man ja zum Beispiel Plural ‚they/them‘, um Menschen neutral anzusprechen.

Rika: Im Indonesischen gibt es kein Gender, eine Geschlechtszuweisung erfolgt über die Ansprache, wir sagen ‚Frau Lehrer‘ oder ‚Herr Lehrer‘. Eine männliche oder weibliche Form von ‚Lehrer‘ gibt es nicht. Die germanischen und romanischen Sprachen finde ich in dieser Beziehung sehr fortschrittlich, wobei man auch sagen kann, dass die indonesische Sprache durch ihre Einfachheit jeden miteinschließt.

Sollte Sprache geregelt werden, wie es die Akademie in Spanien tut?
Iván Arias Arias (Foto: Tith Khamissara)

Iván: Dass es in Spanien mit der Real Academia Española eine Instition für die Pflege der spanischen Sprache gibt, finde ich nicht schlecht. Aber sie sollte darauf achten, wie Menschen Sprache tatsächlich gebrauchen und nicht vorschreiben, wie sie es tun sollten. Die Akademie sollte deskriptiv sein, also untersuchen und beschreiben, welche Unterschiede innerhalb einer Sprachgemeinschaft existieren.

Tith: Bei mir hat es sich ganz natürlich entwickelt, dass ich die weibliche und männliche Form beim Sprechen und Schreiben nutze. Aber ich finde, es sollte bei der gendergerechten Sprache keinen Zwang geben.

Rika: Sprache ist wie gesagt immer mit Kultur verbunden. Es kann Vorschläge zum Sprachgebrauch geben, aber die müssen von den Menschen angenommen werden.

Iván: Es geht ja nicht nur um die Gerechtigkeit zwischen Frau und Mann, sondern auch um Menschen, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen. Das kann zumindest in der Schriftsprache umgesetzt werden, beim Sprechen hingegen ist es schwierig, jederzeit jede Form zu berücksichtigen.

Abschließend nochmal zurück zum Studium: Wie hat euch EMLex an der FAU gefallen?

Rika: Meine Erwartungen wurden mehr als erfüllt. Ich habe viel gelernt und hatte tolle Dozierende aus der ganzen Welt.

Tith: Ich habe neue Ansätze gelernt. Lexikographie bezieht sich nicht nur auf Wörterbücher, sondern kann auch auf andere Bereiche übertragen werden.

Iván: Genau das hat mir auch so gut gefallen. Wir haben Grenzen überschritten und uns auch mit natürlicher Sprache und Computerlinguistik befasst. Es ist einfach toll, wenn sich neue Horizonte öffnen. Insbesondere, wenn man sich wie ich in der Zukunft mit linguistischer Forschung befassen möchte.

Rika: Auch Erlangen hat uns sehr gut gefallen. Sogar so gut, dass Tith und ich ein Semester verlängern und an der FAU bleiben (lacht).

 

Vielen Dank für das Interview!

 

https://www.emlex.phil.fau.eu/