Den eigenen Weg gehen – Teil 2 der Serie „Frauen in der Wissenschaft“

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PD Dr. Nicole Grochowina hat sich für die Berufung in den Orden entschieden und es nie bereut (Foto: privat)

PD Dr. Nicole Grochowina ist Wissenschaftlerin und Schwester einer Ordensgemeinschaft, warum das für sie nie ein Widerspruch war, erzählt sie im Interview.

Sie hatte sich als Frau in der Wissenschaft etabliert und ist dann doch nach der Habilitation dem Ruf Gottes gefolgt: PD Dr. Nicole Grochowina, Projektmitarbeiterin sowie wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Kirchengeschichte II und Schwester der Communität Christusbruderschaft Selbitz. Obwohl ihre Entscheidung auf Unverständnis gestoßen ist, hat sie sich nicht beirren lassen und zeigt, dass sich die zwei verschiedenen Welten ‚Wissenschaft‘ und ‚Glaube‘ vereinbaren lassen. Über ihren Weg, den Mut, ihr Leben zu verändern und ihre Forschung erzählt sie im Interview.

Kontaktdaten und Publikationen von PD Dr. Nicole Grochowina:

https://www.theologie.fau.de/institut-kg-landing/kg-2-neu/pd-dr-nicole-grochowina/

 

Was hat Sie am Studium der Geschichtswissenschaft, Japanologie und Ethnologie gereizt?

Ich bin neugierig auf Menschen, Lebensgeschichten und unterschiedliche Arten, das Leben zu bewältigen. In der Geschichtswissenschaft ordne ich mich deshalb all jenen zu, die nach Beziehungskulturen, Glaubenswelten, sozialer Praxis und zwischenmenschlichen Hierarchien fragen und daraus Rückschlüsse für größere, weil strukturelle Fragen ziehen. Insofern reichen meine Themen in Forschung und Lehre von Fragen nach konfessioneller Identität über die zivile Rechtspraxis des 18. Jahrhunderts und Geschlechterverhältnisse bis hin zu den großen Fragen nach Tod und Angst in der Frühen Neuzeit und darüber hinaus.

Es war und ist mein Anliegen, die Stimmen derer hörbar und verstehbar zu machen, die vor uns mit ihrem Leben und ihrem Denken Fragen gewälzt und beantwortet haben, die wir bisweilen heute auch noch haben. Dazu gehören allemal die Fragen, die sich um unsere Existenz und unsere Endlichkeit ranken.

Die Arroganz der Zeitgenossenschaft, die keinen Blick in die Vergangenheit braucht, um sich selbst besser zu verstehen und Wege zu perspektivieren, war mir immer fremd, denn nach meinem Verständnis hat alles Gewordene immer auch eine Geschichte.

Und warum Japanologie?

Japanologie war und ist dabei ein sehr gutes Korrektiv, um nicht einer potentiell eurozentrischen Perspektive zu erliegen. Allerdings hat die Japanologie auch einen ausgeprägten Eigenwert, denn: Ohne hinreichende Motivation und Lust am Geheimnis lassen sich weder die Sprache (modernes und vormodernes Japanisch) noch die Kultur und Geschichte – zumindest in Teilen – erschließen. Insofern ist die Ethnologie nach vier Semestern dieser Lust auch ,zum Opfer gefallen‘, denn ich habe Japanisch als zweites Haupt-Studienfach studiert, damit ich auch vormodernes Japanisch lernen konnte. Die japanischen Handwerkergedichte des 17. Jahrhunderts wären mir sonst entgangen.

Japan ist mir immer noch fremd, auch wenn ich Japanologie studiert und in dem Land gelebt und gearbeitet habe. Insofern hält dies meine Neugier wach und es mahnt mich, mit dem Denken und Suchen nie fertig zu sein.

Was gefällt Ihnen an Ihrer Tätigkeit in der Wissenschaft?

Ich mag die Vielfältigkeit, die in der Verknüpfung von Lehre und Forschung zum Ausdruck kommt, denn das heißt: Ich kann über Dinge nachdenken und mich in Zeiten hineinwühlen und auf Menschen treffen, die unterhalb des alltäglichen Radars sind – und ich kann gemeinsam mit Studierenden und Kolleg*innen deren Fragen und Antworten bewegen sowie ihre Wege ergründen, sich einen Reim auf ihre Welt und alles darüber hinaus zu machen.

Zudem ist Wissenschaft das Abenteuer des stetigen Neuanfangs.

Jedes Forschungsprojekt beginnt mit einer Frage, mit einem Nachdenken, bevor sich dann – je nach Quellenlage – eine ganze Welt entfaltet, von der erzählt werden will. Das hat zudem keinen Selbstzweck, sondern dient auch der Selbstvergewisserung in der Gegenwart. Dies macht wissenschaftliches Arbeiten wertvoll und besonders – und dies insbesondere dann, wenn die Forschung zugleich auch Gegenstand der Lehre ist und sich im besten Sinne gemeinsames Nachdenken ereignet.

Wo liegen Ihre Forschungsinteressen und woran forschen Sie aktuell?

Ich bin in der frühneuzeitlichen Geschichte beheimatet, habe dort viel über die ‚radikale Reformation‘ und die Menschen gearbeitet, die wenig systemkonform im 16. Jahrhundert unterwegs gewesen sind. Im 18. Jahrhundert bin ich mit anderen Fragen unterwegs; da geht es um das Geschlechterverhältnis, um Geschlechterhierarchien, um den Wandel von Vorstellungen rund um Weiblichkeit und Männlichkeit. Aktuell aber arbeite ich mehr im 20. Jahrhundert. Es ist ein Projekt über evangelische Ordensgemeinschaften, die es qua Theologie eigentlich gar nicht geben sollte. Dabei geht es um die Frage, warum es sie nach dem Zweiten Weltkrieg trotzdem gegeben hat und warum es heute theologisch offenbar kein Problem mehr ist, dass es sie gibt.

Sie haben einen ‚klassischen‘ Werdegang in der Wissenschaft, doch 2008 sind Sie in die Communität Christusbruderschaft Selbitz eingetreten. Wie kam es dazu?

Das war nicht geplant. Ich habe mich 2007 habilitiert und hatte ernsthaft vor, voll und ganz in der Wissenschaft unterwegs zu sein. Allemal als Frau ist das immer noch herausfordernder, so dass ich sehr froh war, 2007 an diesen Punkt gekommen zu sein. Es war also alles stimmig und beglückend – und ist dann doch anders geworden.

Auf die Anfrage Gottes, in eine Ordensgemeinschaft einzutreten, habe ich vorher nie genau hingehört. Sie war auch leicht zu überhören. Außerdem wusste ich gar nicht, dass es auch evangelische Ordensgemeinschaften gibt. Aber 2006 ist diese Frage wieder wichtig geworden – und nach dem Prozess der Habilitation stand ich plötzlich vor der explizit freiheitlichen Entscheidung, mich für die Universität oder für die Gemeinschaft zu entscheiden. Wichtig für mich war: Beides wäre richtig gewesen. Also bin ich meinem Herzen gefolgt und habe mich für die Berufung in den Orden entschieden; eine Berufung, von der ich zu der Zeit nur leise geahnt habe, dass sich in das dann folgende Leben alles andere einsortiert und seinen Platz bekommt. So ist es auch gekommen. Und so kann ich heute sagen: Trotz mancher Schwierigkeiten habe ich diesen Schritt nie bereut, im Gegenteil: Ich kann mich nicht erinnern, wann ich einmal eine derart wichtige und zugleich richtige Entscheidung getroffen habe.

Allerdings bin ich davon ausgegangen, dass damit das wissenschaftliche Arbeiten zu einem Ende gekommen ist. Berufung und Abschied haben keine Hintertüren. Dass es anders geworden ist, und ich 2012 mit einem ersten Lehrauftrag an die FAU gekommen bin, empfinde ich als Glück, Privileg und als Geschenk. Und eben dies lässt mich frei, leidenschaftlich und neugierig Lehre und Forschung zu gestalten.

Gab es kritische Stimmen zu Ihrem Schritt und was hat Sie bestärkt, Ihren Weg zu gehen?

Gerade im wissenschaftlichen Umfeld war nicht wirklich mit Verständnis zu rechnen. Und ich weiß auch nicht, ob ich es bei anderen Menschen gehabt hätte.

‚Du wirfst deine Karriere weg!‘, ist mir durchaus begegnet. ‚Die ganze Förderung war umsonst‘, war ein nicht minder kritischer und zugleich extrem schwieriger Satz.

Im Grunde sind in dem Moment zwei Lebensformen aufeinandergetroffen, die beide ihre eigene Sprache, ihre eigenen Mechanismen und ihre eigenen Spielregeln haben – und die nicht zusammenpassen; so scheint es zumindest. Nach der Entscheidung für den Orden war ich noch ein Jahr an der Universität. Da ist diese Spannung sehr deutlich geworden, wenn sie auch ausschließlich von außen kam.

Was hat mich bestärkt? Ich habe gewusst, dass dieser Weg für mich stimmt. Und ich habe das in einer Tiefe gewusst, die ich so nie zuvor erlebt habe. Und ich habe gewusst, dass ich aus dieser inneren Beheimatung heraus keine Angst haben muss, denn: Dieser Ort dieses Wissen war in bester und friedvollster Weise unerreichbar für alle Anwürfe, die ich auch und gerade im universitären Umfeld im letzten Jahr vor meinem Eintritt in die Gemeinschaft erlebt habe. Diese innere Freiheit ist mir in dieser Zeit nie abhandengekommen – das habe ich am meisten bestaunt; und somit war dieses letzte Jahr trotz allem und in allem ein sehr gutes und eindrückliches Jahr für mich.

Glaube und Wissenschaft scheinen im Widerspruch zu stehen – wie lassen sich diese beiden Lebensbereiche für Sie vereinbaren?

Diesen Widerspruch sehe und lebe ich nicht, im Gegenteil, denn: Glaube ist keine Naivität und auch kein Ausdruck von Unwissenheit. Glaube ist vielmehr ein reflektiertes Geschehen, das sich aus einer inneren Beheimatung in Gott speist und eine gute, reflektierte und kraftvolle Sprache braucht, um das Vertrauen und den Grund des Glaubens in Worte zu bringen. Und auch wenn der Vernunft an der Grenze dieses Geheimnisses schwindelig wird, so entwertet dies weder die Vernunft noch das Geheimnis mitsamt dem Glauben.

Dass Glaube und Wissenschaft nicht im Widerspruch stehen müssen, habe ich von Edith Stein gelernt, die mich schon viele Jahre begleitet. Edith Stein war Philosophin, hat bei Edmund Husserl studiert, promoviert und gearbeitet und ist mit ihrer Habilitation nur deshalb gescheitert, weil sie eine Frau war. Ihr verdanke ich die Einsicht, dass „Wissenschaft als Gottesdienst“ verstanden werden kann. Diese Einsicht führte sie dazu, im Kloster ihre wissenschaftliche Arbeit wieder aufzunehmen und mit ihrem scharfen Denken, ihrer konzisen Arbeit und ihrer Präzision Gottesdienst zu feiern und durch ihr Denken den zu ehren, der sie mit eben dieser Denkfähigkeit begabt hat. So zeigt sie sich in ihren Schriften, ihren Briefen, in ihrem geistlichen Tagebuch. Deutlich wurde mir da: Es braucht die Wissenschaft, um sich Klarheit über Gottesbilder, Kontexte und menschliches Wollen zu verschaffen. So umkreisen Denken und Glauben gleichermaßen die Grenzen des Geheimnisses und verhelfen sich gegenseitig zur Sprachfähigkeit.

Was möchten Sie in Ihrer Forschung noch erreichen?

Ich möchte weiter an Themen dran sein, die Potenzial auch für Fragen der Gegenwart haben. Wenn ich in der Ordenstheologie unterwegs bin und das Ordenssterben in Europa anschaue, sind dies die Fragen auch nach einem gegenwärtigen Umgang mit Endlichkeit, nach alten und neuen Todesbildern und – ganz aktuell – nach dem, was eine Gesellschaft von sterbenden Orden lernen kann, um die Überraschung der eigenen Verwundbarkeit zu bewältigen. Darüber hinaus ist meine Liebe zu denjenigen in der Frühen Neuzeit ungebrochen, die abseits der gebahnten Wege unterwegs waren. Deren Schriften zu verstehen, zu verorten und sie aus der Nische der Historiographie zu holen, wird mir immer ein Anliegen bleiben.

Was motiviert Sie?

Das Glück, dass ich mit Lehre und Forschung etwas erlebe, was mich sehr erfüllt; das Wissen, dass eben dies nicht selbstverständlich ist; und die Freiheit, es auch lassen zu können, wenn ich woanders gebraucht werde.

Vielen Dank für das Interview!

 

Förderungsmöglichkeiten für Frauen an der Fakultät

Zur Ehrung exzellenter Forschungsleistungen und zur Förderung von Frauen in der Wissenschaft schreibt die Frauenbeauftragte den Forschungs- und Publikationspreis 2021 und den neu aufgelegten Postdoc Research Grant aus.

Bewerben Sie sich bis zum 31. Mai 2021!

Weitere Informationen:

https://www.phil.fau.de/fakultaet/frauenbeauftragte/