‚Nebenbei‘ zur Professur – Start der Serie „Frauen in der Wissenschaft“
Sibylle Kunz ist erste Doktorandin in den Digital Humanities und verbindet ihre Begeisterung für Technik, Wissen und Menschen
Selbstständig als IT-Beraterin, Lehrbeauftragte, Mutter und zur gleichen Zeit noch eine laufende Promotion – das Wort Doppelbelastung greift hier eindeutig zu kurz, doch Prof. Dr. Sibylle Kunz hat all das gemeistert. Und ihre Mühe wurde belohnt: Denn nicht nur wurde sie im Oktober 2020 als erste Doktorandin in den Digital Humanities mit einer Arbeit zur Gebrauchstauglichkeit digitaler Lesemedien promoviert, sondern kurz darauf auch zur Professorin und Studiengangsleiterin für Medieninformatik an der IU Internationale Hochschule berufen!
Sibylle Kunz zeigt, wie ein Werdegang auch über Umwege zur Professur führen kann, denn bei ihr haben sich erst nach und nach alle Puzzleteile zusammengefügt. Sie ist daher eine passende Kandidatin für den Start der Reihe „Frauen in der Wissenschaft“, die im Sommersemester regelmäßig eine Forscherin der Fakultät – bzw. die mit der Fakultät in Verbindung steht wie Frau Kunz – vorstellt.
Schon seit den frühen Achtzigern war sie von Computern fasziniert und studierte nach dem Abitur Wirtschaftsingenieurwesen mit Schwerpunkt Informatik in Darmstadt. „An der Wirtschaftsinformatik reizte mich der hohe praktische Bezug und die Beschäftigung mit soziotechnischen Systemen – wie setzen Menschen IT in Unternehmen zielgerichtet ein, wie lassen sich Abläufe damit optimieren und wie schafft man es, die Software an die Anforderungen von Menschen anzupassen, statt umgekehrt?“, erklärt Sibylle Kunz. „Schade war nur, dass einige Informatikprofessoren bisweilen etwas abwertend von der ‚Bindestrich-Informatik‘ sprachen – sie waren sich der Bedeutung des Faches für die Zukunft nicht bewusst“, erinnert sie sich.
Begeisterung für die Lehre und lebenslanges Lernen
Schon während ihres Studiums machte sie sich 1993 als IT-Beraterin und Trainerin selbstständig und gab Anwenderschulungen in Unternehmen, bei denen sie merkte, dass ihr die Lehre großen Spaß macht, nicht zuletzt, da es stetiges Lernen bedeutet. Schon zu diesem Zeitpunkt dachte Sibylle Kunz über eine Promotion nach, doch die Praxis reizte sie, ihre Selbstständigkeit lief erfolgreich und aus ihren Schulungsveranstaltungen ergaben sich spannende Projekte.
Doch da sich die Diplom-Wirtschaftsinformatikerin nicht nur für Computer begeistert, sondern auch für die Wissensvermittlung, übernahm sie 2011 als Lehrbeauftragte eine Vorlesung in Projektmanagement an der Hochschule Mainz. Es kamen im Rahmen einer Stelle als Lehrkraft weitere Lehrveranstaltungen hinzu, sie betreute Abschlussarbeiten, wurde Mitglied im Senat und merkte kurzum: „Das ist genau das, was ich gerne machen möchte!“ Jetzt wollte sie den Weg zu Ende gehen und eine Professur anstreben.
Für sie haben Lehr- und Lernsituationen etwas Beflügelndes- und zwar für beide Seiten. Sie sieht ihre Aufgabe darin, Wissen und Kompetenzen in Studierenden so zu verankern, dass sie damit nach ihrem Studium produktiv werden können. „Es gibt ein Sprichwort: ‘Teachers have three loves: love of learning, love of learners, and the love of bringing the first two loves together.’ Das beschreibt die Konstellation sehr treffend”, sagt Sibylle Kunz.
Einstieg in die Wissenschaft
Da für eine Professur die Promotion erforderlich ist, entschied sie sich 2016 dafür, diesen Weg zu gehen. Nach Selbstständigkeit, Hausbau und zwei Kindern also das nächste zeitintensive Projekt.
„In meinem Kollegen Prof. Sven Pagel fand ich einen tatkräftigen Unterstützer und in Frau Prof. Hagenhoff an der FAU eine Doktormutter, die meine Intention verstand und mir die Möglichkeit gab, bei ihr meine Dissertation über die Usability digitaler Lesemedien zu schreiben und mir damit den Traum zu erfüllen, neben der Wirtschaftsinformatik noch einmal tief in ein anderes Fach einzusteigen. Da mich an Büchern nicht nur ihr Inhalt leidenschaftlich interessiert, sondern auch, wie sie entstehen und zu ihren Lesern finden und wie Medienmärkte funktionieren, lag der Schritt in die Buchwissenschaft in Erlangen nahe“, berichtet die gebürtige Mainzerin.
Von Freizeit war jedoch nicht mehr viel übrig und der Tag hatte immer zu wenige Stunden. Was also hat sie motiviert? „Eine Promotion mitten im Leben ist zwar viel schwieriger zu organisieren als direkt nach dem Studium, aber man hat mehr Lebenserfahrung, ist deutlich strukturierter, kann besser damit umgehen, wenn es mal schwierig und zäh wird – und das wird es zwangsläufig in jedem Promotionsvorhaben irgendwann – und man ist eher bereit, an und über seine Grenzen zu gehen.“ Einen Motivationsschub gab es, als der theoretische Rahmen stand und sie zur empirischen Überprüfung des Referenzmodells übergehen konnte, da habe sie zum ersten Mal ‚Licht am Ende des Tunnels‘ sehen können. 2019 begann sie, sich auf Professuren zu bewerben und landete nach den Gesprächen mehrfach auf den vordersten Plätzen, obwohl ihre Promotion noch nicht fertig war. Neben diesen Erfolgserlebnissen motivierten sie natürlich auch ihr privates Umfeld sowie ihre ‚Doktoreltern‘, ihr Ziel weiter zu verfolgen. „Und ich habe mir auch oft vorgestellt, was ich alles mit meiner Freizeit anstellen können würde, wenn sie irgendwann wieder zurückkäme“, sagt sie und lacht.
Erste Promotion im Fach Digital Humanities
Sibylle Kunz forschte für ihre Promotion auf dem Gebiet ‚Gebrauchstauglichkeit digitaler Lesemedien‘ und gestaltete ein Referenzmodell zu deren Entwicklung. Die Arbeit verknüpft Zugänge und Theorien aus der Medienforschung (Mediennutzung, Rezeption) mit solchen aus den Technikwissenschaften (Referenzmodell, Objektarchitektur, Standards) und verdeutlicht, wie diese verschiedenen Expertisen sinnvoll miteinander kombiniert werden können und müssen, um Digitale Medien als einen hochkomplexen realweltlichen Gegenstand zu erfassen, zu analysieren und zu gestalten. Im neu entstandenen Fach Digital Humanities fand sie den idealen inhaltlichen Rahmen, denn auch hier geht es in vielen Projekten um die Auseinandersetzung und die Beforschung von semantisch einheitlich aufbereiteten digitalisierten Texten und Artefakten und den Transfer von Methoden aus der Informatik hinein in bisher eher technikferne oder weniger technikaffine Disziplinen. Daher wechselte sie während der Arbeit an der Dissertation in Absprache mit ihren Betreuern von der Buchwissenschaft in die Digital Humanities – auch vor dem Hintergrund, dass die angestrebte spätere Professur nach wie vor in der Informatik angesiedelt sein sollte.
Während das Thema vorher eine Schnittmenge von Buchwissenschaft und Wirtschaftsinformatik bildete, erschien es nun in die Digital Humanities komplett eingebettet. „Mit dem weiteren Prüfungsthema ‚Soziotechnische Systeme und Technologieakzeptanz‘ konnte ich mir den Wunsch erfüllen, Menschen, Wissen und Technologie zusammenzubringen. Dass es dann auch noch die erste Promotion in diesem Fach wurde, hat mich besonders gefreut und auch ein bisschen stolz gemacht. Ich hoffe, die FAU auch in Zukunft wiederzusehen und vielleicht ergeben sich ja auch aus meiner Professur an der IU heraus neue gemeinsame Projekte.“
Herzlichen Glückwunsch zu diesem erfolgreichen Werdegang und weiterhin auf gute Zusammenarbeit!
Ihr Buch ‚Usability digitaler Lesemedien‘ ist voraussichtlich ab Juni erhältlich:
https://www.nomos-shop.de/academia/titel/usability-digitaler-lesemedien-id-98355/
Förderungsmöglichkeiten für Frauen an der Fakultät
Zur Ehrung exzellenter Forschungsleistungen und zur Förderung von Frauen in der Wissenschaft schreibt die Frauenbeauftragte den Forschungs- und Publikationspreis 2021 und den neu aufgelegten Postdoc Research Grant aus.
Bewerben Sie sich bis zum 31. Mai 2021!
Weitere Informationen: