Nachgefragt: Trumps Vermächtnis im ‚Westsahara-Konflikt‘ zwischen USA und Marokko
Der scheidende US-Präsident Donald Trump versucht, sein politisches Erbe durch wichtige Schritte zum Frieden im Nahostkonflikt zwischen Israel und Palästina zu schmücken. In einem seiner ‚Deals‘ erkennt er den marokkanischen Herrschaftsanspruch über die besetzte Westsahara an, im Gegenzug nimmt das muslimisch geprägte Königreich Marokko die diplomatischen Beziehungen zu Israel wieder auf. Die regionale Sprengkraft des Westsaharakonflikts ist jedoch immens, wie Katharina Nicolai vom Erlanger Zentrum für Islam und Recht in Europa (EZIRE) und Erik Vollmann vom Institut für Politische Wissenschaft berichten.
Worum geht es im Deal genau?
Katharina Nicolai: Bis 1956 unterlag Marokko als Protektorat der Fremdherrschaft durch Frankreich und Spanien, das Gebiet der Westsahara im Südwesten Marokkos blieb durch Spanien bis 1975 besetzt. Seit dem Rückzug Spaniens erhebt Marokko Souveränitätsansprüche auf das Territorium, das rund drei Viertel der Größe Deutschlands umfasst. Während die internationale Staatengemeinschaft ein Referendum zur Selbstbestimmung der dort ansässigen Sahrawi-Bevölkerung vorsah, initiierte der marokkanische Staat bereits im Jahr des spanischen Rückzugs den sogenannten ‚Grünen Marsch‘, in dem bis zu 350.000 unbewaffnete Zivilisten die Westsahara besetzten, um den Ansprüchen des Regimes Nachdruck zu verleihen. Seither bleibt der Konflikt um die Souveränität der Westsahara trotz wechselnden Phasen des Waffenstillstandes und des offenen Krieges unter Beteiligung der Sahrawi Polisario-Befreiungsfront und den Nachbarländern Marokkos, ungelöst.
Erik Vollmann: Am 10. Dezember 2020 haben die USA unter Präsident Donald Trump offiziell die marokkanische Souveränität über das umstrittene Gebiet anerkannt. Seit Dezember 2019 haben bereits sechzehn Staaten des arabischen und Subsahara-Raumes diesen Schritt getan, doch sind die USA die erste Großmacht, die Marokkos Anspruch unterstützt. Im Gegenzug verpflichtet sich Marokko, die politischen Beziehung zu Israel zu normalisieren. Die politische Stärkung des israelischen Staates ist seit Langem eine Priorität der amerikanischen Außenpolitik und auch der Regierung Trumps.
Warum ist die Westsaharafrage so wichtig für Marokko?
Erik Vollmann: Die Westsahara als integraler Bestandteil des marokkanischen Territoriums gehört für das marokkanische Regime zur Staatsräson. Das Königshaus geriert sich als Hüter der nationalen Einheit und somit als Beschützer von marokkanischen Interessen in der Westsahara. Ein Scheitern der eigenen Westsaharapolitik würde das Regime in eine tiefe Krise stürzen. Dafür hatte das Regime eine jahrzehntelange regionale Isolation in Kauf genommen, die dem Land wirtschaftlich stark schadete. Kritik an diesem Selbstverständnis gehört zu den „roten Linien“ des Regimes, Kritiker müssen mit harter Repression rechnen. Die Westsahara ist zudem entscheidend für die Phosphatproduktion und die Erweiterung der marokkanischen Fischfanggebiete. Auch Erdöl wie -Gas werden hier vermutet und das Potential für regenerative Energieproduktion durch Offshore-Wind- und Solarenergie ist enorm. Allerdings behindert der völkerrechtliche Status die Exploration und den weiteren Ausbau durch internationale Unternehmen. Mit Prestigeprojekten und Reformwillen präsentiert sich Marokko als stabiler Partner in der Region, der offen ist für ausländische Investitionen. Die Anerkennung der „marokkanischen Sahara“ ist dabei prioritär. Das Königreich versucht, durch regionale Integration und den Aufbau transnationaler Beziehungen in Wirtschaft und Politik Unterstützung für seine Politik zu gewinnen.
Welche innen- und außenpolitischen Konsequenzen sind zu erwarten?
Katharina Nicolai: Die Anerkennung wird innenpolitisch als Triumph des Königshauses verbreitet. Sie wird durch Regierungsvertreter und nationale Medien überbetont während die Details des diplomatischen Upgrades Israels heruntergespielt werden: Die Beziehungen seien schon normal gewesen, es handele sich also um gar keine Normalisierung. Zudem sei die Unterstützung für Palästina ungebrochen. Ein Großteil der Marokkaner bezeichnet sich als solidarisch mit den Palästinensern und lehnt die diplomatische Anerkennung Israels ab. Es besteht daher die Gefahr, das Abkommen könne als „Verrat“ an den arabischen Brüdern und Schwestern angesehen werden.
Für Marokko ist die diplomatische Distanz zu Israel tatsächlich nicht so groß wie für andere arabische Staaten. Das Königreich ist der vierte arabische Staat, der seine Beziehungen zu Israel (teil-) normalisiert, steht also nicht isoliert da. Außerdem sind die Verbindungen zu Israel historisch und auch inoffiziell gut. Über eine Million israelische Staatsbürger haben marokkanische Wurzeln, es bestehen bereits Handels- und Sicherheitsbeziehungen, die nun weiter vertieft werden. Die Wiedereinrichtung der seit 2002 geschlossenen Verbindungsbüros wird allerdings wohl als Faustpfand gegen die nächste US-Regierung verzögert werden – auch wenn die faktischen Beziehungen zu Israel von einem Umschwenken unter Biden vermutlich nicht betroffen wären.
Erik Vollmann: Beschließt der nächste US-Präsident, vom Abkommen zurückzutreten wäre dies ein offener Affront gegenüber Marokko. Wahrscheinlicher ist, dass Joe Biden den „last-minute Deal“ seines Vorgängers „ausschleichen“ wird, statt ihn enthusiastisch zu verfolgen oder aktiv zu bekämpfen. Dies wird dem Anspruch Marokkos auch in der UNO neue Kraft verleihen. Frankreich hat bereits Sympathien für den marokkanischen Lösungsvorschlag für die Westsahara signalisiert. Die Spannungen zu Algerien als Unterstützungsmacht der Polisario dürften sich hingegen intensivieren. Wenn Algerien die Unabhängigkeitsfront nicht weiter zur Zurückhaltung ermuntert, werden sich die militärischen Zusammenstöße mit dem marokkanischen Militär in einer volatilen Region intensivieren.
Weitere Informationen
Katharina Nicolai
EZIRE
katharina.nicolai@fau.de
Erik Vollmann
Institut für Politische Wissenschaft
erik.vollmann@fau.de