Nachwuchsforschergruppe „Flexible Schreiber in der Sprachgeschichte“
Am 1. September 2017 startete die vom Elitenetzwerk Bayern geförderte Nachwuchsforschergruppe „Flexible Schreiber in der Sprachgeschichte“ (Laufzeit 2017–2022), die Dr. Markus Schiegg leitet und die am Lehrstuhl für Germanistische Sprachwissenschaft (Prof. Dr. Mechthild Habermann) angesiedelt ist. Verknüpft ist sie mit dem Elitestudiengang „Ethik der Textkulturen“ der Universitäten Erlangen und Augsburg. Projekthomepage: http://copadocs.de.
Die Nachwuchsforschergruppe untersucht Briefe und weitere persönliche Dokumente von ehemaligen Patientinnen und Patienten psychiatrischer Anstalten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Dabei übertragen wir Beobachtungen der modernen Soziolinguistik zur internen sprachlichen Variabilität in die Sprachgeschichte und stellen uns die Frage, ob auch historische Schreiberinnen und Schreiber sprachliche Flexibilität zeigten. Inwiefern passten sich diese also den erforderlichen schriftsprachlichen Normen unterschiedlicher Textsorten und Verschriftungssituationen an? Waren sie sich dieser Anpassungen bewusst und darüber hinaus auch in der Lage, aktiv ihre Sprachwahl zu steuern? Fokus soll hierbei weniger auf privilegierten und höher gebildeten Personen liegen denn auf dem Großteil der Bevölkerung, also ‚einfachen Schreibern‘ mit geringerer Schulbildung und bäuerlichen sowie handwerklichen Berufen.
In psychiatrischer Anstalten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts herrschte die Praxis, bestimmte Briefe nicht abzuschicken, sondern den Patientenakten beizulegen, wo diese seitdem meist unbeachtet schlummern. Im Forschungsprojekt widmen wir uns diesen Briefen aus interdisziplinärer Perspektive und erstellen mit XML und TEI zunächst ein elektronisches Briefkorpus mit Material aus Süddeutschland, Norddeutschland und Großbritannien. Dieses untersuchen wir anschließend hinsichtlich der Hypothese, dass auch ‚einfache Schreiber‘ sich bewusst für den Einsatz unterschiedlicher sprachlicher Register und damit auch unterschiedlicher (Bündel von) Varianten entscheiden konnten.
Das Forschungsprojekt entwickelt dabei Methoden zur Kombination funktionaler mit strukturellen Herangehensweisen an sprachliche Variation und schließt an eine integrative Theoriebildung in der Variationsforschung an. Die Spezifik dieses Korpus erlaubt es darüber hinaus, den Einfluss von Alter und/oder Krankheiten auf den Sprachgebrauch zu analysieren, und leistet dabei Pionierarbeit im Bereich einer Historischen Patholinguistik. Ethische Relevanz erhält das Projekt durch die Untersuchung von Textbewertungen, der Zensurpraxis und der Legitimation von Wissen und Macht – schließlich ergreifen die Patienten mit ihren Erfahrungen im psychiatrischen Kontext nun selbst das Wort, welches ihnen damals verwehrt wurde.
Kontakt:
Dr. Markus Schiegg
FAU Erlangen, Lehrstuhl für Germanistische Sprachwissenschaft
Bismarckstraße 1B, 91054 Erlangen
markus.schiegg@fau.de
Projekthomepage: http://www.copadocs.de/